Ausgabe 200604
Elisabeth Eschwé:
Pianistin, Pädagogin, Schauspiel
Das Austrian Music Network bringt mit Elisabeth Eschwé eine vielfach begabte und höchst interessante Persönlichkeit im Portrait. Vor allem Ihre pädagogischen Kompetenz, die in der heutigen Zeit eine Seltenheit ist, muss hervorgehoben werden. Die Ehrlichkeit, die Sie Ihren Schüler entgegenbringt ist eine besondere Charaktereigenschaft und Stärke von Elisabeth Eschwé , sie stellt immer den Schüler und dessen Bedürfnisse in den Vordergrund. Ihr künstlerisches Talent lässt sie jedoch selbst in allen ihren Kunstsparten Sehens-, Hörens- und Lesenswertes produzieren und kann damit ihr Publikum fesseln.
AMN: In der Pressekonferenz von Allegro Vivo dem Kammermusikfestival, nahmen Sie in besonders eindruckvoller Weise Stellung zur Ausbildung der Jugend. Diese Sichtweise sollte nochmals wiedergegeben werden um einer möglichst großen Anzahl Studierender und Lehrenden als Denkanstoß zu dienen. Unser Studiensystem auch in kritischer Weise zu beleuchten.
Elisabeth Eschwé
Ich sehe die persönliche Entwicklung von talentierten Menschen im heutigen
Umfeld der Institutionen, im Spiel von Geld und Vermarktung, gefährdet.
Sachzwänge unserer Zeit fordern eine zu frühe Spezialisierung, der andere
Begabungen, aber vor allem auch die Möglichkeit einer Heranreifung in der
gewählten Kunstsparte zum Opfer fällt. Musik ist die tiefgründigste aller
Kunstformen, drückt sich weder bildhaft noch sprachlich aus. Aber doch ist
sie Ausdruck unseres gesamten inneren Wesens; die Gesamtheit des Erlebten,
Gewussten und Gefühlten, fließt in die Art, wie wir Musik machen, ein.
Kinder im Alter von 14 Jahren werden durch den Druck, "künstlerische"
Leistungen eines Erwachsenen zu erbringen, verbildet, nicht gefördert. Auf
der Strecke bleiben Authentizität, Wachstum, und die Möglichkeit zur
geistigen Reifung.
Wir geben unseren Kindern heute keine Zeit mehr zur Orientierung, geschweige denn zur Neuorientierung; sprechen von Sachzwängen, die es nicht anders zulassen. Dabei ist es in den Wissenschaften völlig konträr. Hier verlängern sich die Ausbildungswege, wenn man ganz an die Spitze kommen will. Ist die Wissenschaft höher einzuschätzen als die Kunst?
Ich habe eine interessante Studie von der Harvard University gelesen, die sieben Genies des 20. Jahrhunderts und ihre persönliche Entwicklung verglich. Weder Freud, Einstein, Strawinsky, Eliot, Graham noch Gandhi waren Wunderkinder, Ausnahme Picasso. Sie alle waren Spätentwickler und harte Arbeiter. Aber äußerst bemerkenswert, dass keiner von ihnen vor dem zwanzigsten Lebensjahr wusste, was er werden wollte.
AMN: Liegt es daran, dass Sie nicht nur die pädagogischen Seite des Klavierunterrichtes sehen, sondern selbst konzertierende und ausübende Pianistin sind, um für die Schwierigkeiten und Probleme der Studierenden mehr Verständnis aufbringen zu können?
Elisabeth Eschwé: Vielleicht, - liegt es mir jedenfalls fern, durch die Leistung des Schülers mein Ego stärken zu müssen. Ich schicke sie nicht als Galopper auf die Rennbahn. Selbst immer wieder auf der Bühne zu stehen schafft eine gemeinsame Plattform mit dem Schüler. Nicht vom elfenbeinernen Turm der Theorie, sondern weil ich ständig an meine eigenen Grenzen stoße, sehe ich die Kunstausübung von der praktischen Seite. Außerdem war und ist Unterrichten für mich vor allem eine humanistische Aufgabe, in der ich das Individuum in der wichtigsten Phase seines Lebens, seiner Identitätsfindung, unterstützen muss. Wir haben der Jugend zu dienen, nicht umgekehrt.
AMN: Ist Ihre Liebe zum Schauspiel und zur Literatur als Ergänzung zur Musik zu verstehen? Sehen Sie Kunst im weitesten Sinne als eine Einheit, die nur ganzheitlich zu erfassen ist?
Elisabeth Eschwé: Ja, denn letztlich ist es die Suche nach Wahrheiten, die sich in verschiedenen Erscheinungsformen ausdrückt. Ich selbst bin sprachlich und musikalisch begabt, daher musste ich die Verbindung nicht erst suchen. Wenn man in die Vergangenheit schaut, sieht man, dass die Zeiten, wo die Verbindung zwischen den Kunstsparten gepflegt wurde, besonders kreative waren. Denken Sie an die Bé lle Epoche in Frankreich - die Zusammenarbeit zwischen einem Picasso, Jean Cocteau und Diaghilev; oder auch der Freundeskreis um Schubert im Wiener Vormärz; oder die Zwanzigerjahre in Wien, wo nicht nur die Literaten beisammen saßen, sondern selbstverständlich Musiker und Maler zu den Café haus Stammgästen zählten. Auch im Individuum fließen die verschiedenen Kräfte zusammen: Thomas Bernhards Sprachmelodie ist stark von Musik inspiriert, in Robert Schumanns Musik sein Hang zur Literatur unverkennbar.
AMN: Von der Lyrik zum Gesang ist der Weg nicht weit und kann in beiden Richtungen gegangen werden. Waren Sie durch besondere dichterische Ambitionen auf dieses Gebiet gestoßen oder ist für Sie Musik - und Sprachmelodie eine Ausdrucksform sich der Umwelt mitzuteilen?
Elisabeth Eschwé: Nein, denn obwohl ich gerne selbst schreibe, hatte ich nicht das Bedürfnis, diese Texte auch zu singen. Vielmehr war es durch den Schauspielunterricht bei der genialen Lola Braxton, die auch Gesang unterrichtete, wo ich viele Analogien zwischen Gesang und Instrument erst verstanden habe. In meinen Programmen beschränke ich mich auf Sprache und Klavierspielen. Mit Ausnahme eines cross-over programmes, wo ich auch Chansons singe.
AMN: Ihre Programme mit Musik von CWith kind lara Wieck und anderen weiblichen Komponistinnen bringen immer wieder neue Aspekte zu diesem Thema. Wollen Sie damit darauf hinweisen, dass sich Musik und Kunst im weitesten Sinne weder männlich noch weiblich darstellt, sondern einem tiefen menschlichen Bedürfnis entspricht, das nur aus der Dualität Nahrung erhält?
Elisabeth Eschwé: Ja ganz sicher. Die Dualität ist in jedem Menschen in allen Spielvarianten vorhanden. Jede Form von Sexismus, sei es die historisch obsolete Wahrheit, dass nur ein Mann kreativ sein kann, aber auch der zwanghafte Beweis, wie viele gute Komponistinnen es gibt, ist mir ein Gräuel. Aber als interpretierende Künstlerin muss ich Ausdrucksformen suchen, die ich glaubhaft machen kann. Da ist die Darstellung von Clara Schumann natürlich naheliegend gewesen. Und die Identifikation für das Publikum viel stärker. Mir geht es um Aufzeigen von Geschichten, die sich in Sprache und Musik ausdrücken; wo Sprache und Musik einander ergänzen, beleuchten, verstärken. Aber ich habe auch musikalisch-literarische Programme erstellt, wo meine Stimme neutral eingesetzt ist. In einem Programm über Wien der Zwischenkriegszeit verwende ich Textcollagen von Karl Kraus bis zum Herrn Carl und Ilse Aichinger. Der Anspruch an diese Art von Programmen liegt für mich dort, dass ich mit Texten und Musik einen neuen Kontext schaffe, der aussagekräftig und schlüssig sein muss.
AMN: Wie man Ihrem Lebenslauf entnehmen kann, haben Sie vielfältige Erfahrungen in den verschiedensten Ländern gesammelt. Konnten Sie dabei ausschließlich Ihre Konzepte und Pädagogischen Kenntnisse vermitteln oder war damit immer ein fruchtbarer Austausch beidseitiger Thematik verbunden?
Elisabeth Eschwé: Ganz unterschiedlich. Manche waren reine Konzertreisen. Sehr oft konnte ich aber Meisterkurse oder Vorträge damit verbinden. Theorie und Praxis, d.h. Pädagogik und Kunstausübung hat sich dadurch immer wieder befruchtet. Übrigens ist die anfangs erwähnte Problematik der Ausbildung nicht auf Österreich beschränkt, sie ist international. Bei Meisterkursen ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig die Studenten über die Werke, die sie interpretieren, wissen. Wie wenig sie Querverbindungen und eigene Ideen einbringen können. Die intensive Beschäftigung mit einem Instrument darf den Menschen nicht in eine Einbahn bringen. Eine Ausbildung in Kunst sollte, wie das Wort ja sagt - Bildung sein, und nicht Leistungssport.
AMN: Man findet bei Ihnen die Erwähnung der Stanislawski Methode - halten Sie die Abgrenzungen unter den verschiedenen Schulen oder Methoden für sinnvoll? Gibt es nicht verschiedene und für jeden Menschen auch individuell verschiedene Zugänge in seinem Lernverhalten? Sind z.B. einseitige technische Richtlinien, wie sie vielfach von manchen Lehrern gefordert werden, aber aus körperlichen Gründen für manche Schüler nicht nachvollziehbar sind, nicht kontraproduktiv?
Elisabeth Eschwé: Auf Stanislawski stieß ich auch in meinem Schauspielunterricht. Seine Genialität lag, ähnlich wie bei Freud im psychologischen Bereich, im Erfassen von grundlegenden Erkenntnissen der Schauspielkunst. Durch meine Kenntnisse des Klavierspiels sind mir die Parallelen zwischen den Ausdrucksformen Musik und Schauspiel bewusst geworden. So habe ich, zuerst experimentell, dann zunehmend systematisierend, diese Erkenntnisse auf das Klavierspiel transformiert und mit meinen eigenen Erfahrungen verknüpft. Es handelt sich also, gottseidank, um keine strenge Methode, sondern vielmehr Zugänge, die das eigene Interpretieren, eigene Dramaturgie, Authentizität im Spiel, also das, worum es in der Musik geht, fördert. Die Technik ist darin Mittel zum Zweck.
AMN: Glauben Sie, dass mit den modernen Medien wie Internet, E-Mail und anderen elektronischen Geräten der Musik ein guter Dienst zu leisten ist? Sie haben einen Computer. In welcher Form nützen Sie dieses Gerät?
Elisabeth Eschwé: Wie die Erfindung des Telefons: unverzichtbar in unserer Zeit der "Ständigen Abrufbarkeit in allen Belangen". Aber meine Abhängigkeit hält sich in Grenzen. Mit anderen Worten: morgens setze ich mich lieber ans Klavier.
AMN: Ihre nächsten Konzerte und Veranstaltungen stehen heuer im Zeichen von Robert Schumann - Clara Wieck. Sie stellen Ihre Programme selbst zusammen und geben diesen immer einen thematischen Grundgedanken. Ist es schwer, sich mit solchen Vorgaben zu belasten? Wann und wo finden diese Konzerte und Veranstaltungen in nächster Zeit statt?
Elisabeth Eschwé: Nein das ist nicht schwer, nur ungeheuer spannend und herausfordernd. Zunächst spiele ich den "Abend bei Clara Schumann" im April in Österreich und Amerika. Dann will ich im Juni ein neues Programm über Robert Schumann vorstellen - Musik einer Liebe - mit Texten von Clara Schumann. Es zeigt die Auswirkung von dieser Liebesgeschichte auf die Schaffenskraft Robert Schumanns. Im Herbst spiele ich wieder Clara Schumann in Linz und Wien. Dazwischen immer wieder eine cross-over show "femmes classiques" mit Ulrike Sych.
Genaue Hinweise sind auf meiner Homepage zu finden: www.elisabeth-eschwe.com
AMN: Was würden Sie sich persönlich oder für andere wünschen, oder was würden Sie verändern, wenn Sie die Möglichkeit oder die Entscheidungsgewalt hätten?
Elisabeth Eschwé: Die Gründung einer Kunstschule, die meine Vorstellungen einer umfassenden Kunstausbildung in die Praxis umsetzt.
AMN: Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre Unternehmungen in allen Bereichen viel Glück und Erfolg.