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Austrian Music Network
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Prof. Dr. Manfred Wagner In unserer Portraitserie setzen wir diesmal den Schwerpunkt mit dem Kulturtheoretiker und Vorstand der Lehrkanzel für Kultur und Geistesgeschichte der Universität für angewandte Kunst in Wien Prof. Dr. Manfred Wagner. Durch dessen umfassende Aktivitäten und Einbindungen in die wesentlichen Kulturinstitutionen Österreichs dürfen wir diesem Interview mit besonderem Interesse entgegensehen. AMN: 2005 ein Jahr der Jubiläen. Glauben Sie, werden die kulturellen Institutionen den politischen Intentionen entsprechen oder werden sie sich vom tagespolitischen Geschehen vereinnahmen lassen?
AMN: Das Austrian Music Network ist in erster Linie am österreichischen Musikgeschehen interessiert, auch wenn wir als Partner die Website von "Austrian-Art" für Bildende Kunst betreuen. Was könnte man in Österreich in den musischen Bereichen verbessern? Prof. Wagner: Hauptproblem Nr. 1 ist die Erziehung in Kindergarten und Schule. Hier ist ein völlig neuer Ansatz zu suchen, weil der jetzige Zustand nahezu katastrophisch anmutet. Man muss bedenken, dass in "musischen Fragen" (emotionale Intelligenz) die Eltern völlig ausfallen, sodass die staatlichen Erziehungsinstitutionen die gesamte Last tragen. Diese setzen allerdings allein auf cognitives Lernen, was für das Industriezeitalter richtig war, jetzt aber nach einem Paradigmenwechsel verlangt. AMN: Das Kunststudium wird vielfach als brotloses Gewerbe angesehen - können wir es uns leisten, alles nur mit dem Rechenstift nach Rentabilität zu beurteilen? Prof. Wagner: Der ausschließliche Rentabilitätsgedanke hält nicht einmal mehr rein kapitalistisch gedacht. Menschliches Leben findet nicht in der Registrierkasse statt, sondern in Gefühlen und Gedanken. Und daraus die Künste zu verbannen ist letztlich nicht nur nicht möglich, sondern erzeugt bei zu wenig Input Frustrationen bis zu psychischen Störungen. Alle Untersuchungen an Kindern mit mehr Musikstunden zeigen, dass sie gesünder, sozial verträglicher, intelligenter und glücklicher sind als jene in Kontrollgruppen ohne Musik (Bastianstudien in Berlin) AMN: Wo liegen die Stärken und die Kraft, aus dem hier Entstandenen weltweit zu agieren? Oder sind die Kulturmanager soweit vernetzt, dass nur mehr kulturelle Multis das Sagen haben und wirkliche schöpferische Ereignisse höchstens zu Randerscheinungen degradiert werden? Prof. Wagner: Österreich fällt in den kreativen Bereichen eher zurück im Vergleich mit anderen Ländern. Ausnahmen sind wenige und eher in den Bereichen Architektur und Mode und in der Wissenschaft zu finden. Es liegt primär an den Schulen bis zu den Universitäten, die eher auf Anpassung denn auf kreative Entfaltung aus sind. Ich sehe Kulturmanager nicht als Bedrohung, weil sie ohnehin andere Aufgaben haben als die Entdeckung oder Förderung gerade entstehender Kreativität. Problematisch ist unser sehr zufälliges und willkürliches Fördersystem. Hier könnte man sich an den Wissenschaftsinstitutionen ein Beispiel nehmen, wenn diese auch nach wie vor zuwenig finanzielle Mittel haben. AMN: Vielleicht können Sie in diesem Punkt auch zur österreichischen Schulpolitik ein paar Anmerkungen machen. Die PISA Studie ist in aller Munde - nun soll sich etwas ändern - hat das nicht auch einen Bezug zum Bereich der Kunst? Hat die Vernachlässigung der musischen Fächer im Schulbetrieb nicht eine Phantasiearmut erzeugt und dadurch Auswirkungen im Kreativitätsmangel? Prof. Wagner: Das finnische Ausbildungssystem für Lehrer stellt das Kind in den Vorder- und das Fach in den Hintergrund. Wer Kinder liebt und zwar uneingeschränkt, wird automatisch die Kreativität, die ohnehin in jedem Menschen verborgen liegt, solange suchen, bis er fündig wird. Unser System bedient in allen Fragen den Lehrer, der seinerseits in die Zwänge zwischen Verwaltung, Bürokratie und sentimentale Eltern sowie fun-versprechende Medien eingebunden ist. Und dass der Umgang mit den Sinnen für alle Menschen ein wesentlicher Bestandteil Ihres Seins ist, ist nur dumm, die musischen Fächer derart zurückzudrängen, wie man dies jetzt immer noch tut. AMN: Wenn wir so viele kritische Fragen stellen, so soll keineswegs einem Kulturpessimismus das Wort geredet werden. Es ist die Sorge um den "Rechten Weg". - Kann man Strukturen erkennen, die uns Hoffnung geben aus einseitigen Sichtweisen herauszufinden und positive Impulse umzusetzen? Prof. Wagner: Ich weiß es nicht. Augenblicklich scheint etwas in Bewegung zu kommen, was die Schulrealität betrifft, nicht den Umgang mit Kunst, emotionaler Intelligenz und Kreativität. Allerdings sind das Interessenskämpfe, die weniger parteipolitisch als standespolitisch ablaufen, wobei vernünftige Argumente (siehe Forschungsnotwendigkeit für das Wachsen wirtschaftlicher Entwicklung!) noch lange nicht allgemein akzeptiert werden. AMN: Herr Prof. Wagner, wenn wir den Kunstbetrieb Österreichs - egal ob musikalisch oder bildnerisch - in Verhältnis zu anderen Ländern stellen, worin sehen Sie einen Unterschied und wie ist die Gewichtung? Prof. Wagner: Es besteht kein Zweifel, dass wir alles Gewicht kommerziell wie politisch auf Interpretation statt Produktion legen. d.h. die Wiederholung des Alten hat Vorrang vor dem Neuen. Wir haben immer noch aus vielen Gründen viele Begabungen, aber wir sehen die Vergangenheit prioritär und stellen uns zuwenig der zeitgenössischen Produktion. Und wenn , dann nicht selbstverständlich, sondern unter dem Aspekt des einmal Außergewöhnlichen. Die Akzeptanz der Gegenwart in den Künsten ist gesellschaftlich noch lange nicht erreicht. AMN: Sie waren in Hamburg und Graz Gastdramaturg. Sicher können Sie aus Ihren Erfahrungen zu dem derzeit vorherrschenden Regietheater etwas sagen. - Ist es wirklich so, dass die Auslegungen eines Regisseurs die einzig wahren Erkenntnisse sind und die Vorgaben der Autoren dem Effekt oder der Eitelkeit der Ausführenden geopfert werden? Prof. Wagner: Auch in diesen Fragen hinken wir den Entwicklungen weit hinterher. Wenn anderswo man schon längst wieder zur seriösen Darstellung der Vorlagen zurückgekehrt ist, was manche mit alt und fad verwechseln, so lassen wir Regisseure Texte dichten, ziehen den Boulevard auf die Bühne, glauben überall alles machen lassen zu müssen und wagen uns an keine Qualitätsdiskussion, sondern nur an die unpassenden Gegensätze von fortschrittlich und konservativ. AMN: Wir haben den Beginn eines neuen Jahres. Was würden Sie sich für Veränderungen wünschen? Prof. Wagner: Primär die Besinnung auf jene zentralen Werte, die den Menschen ausmachen: die Entfaltung der Kreativität, die Konzentration auf das Wesen des Lebens in Würde, Liebe Selbstverwirklichung, sozialer Verträglichkeit, Mitmenschlichkeit, Respekt vor dem anderen und die Vermeidung jenes Konsumwahns und des Mülls, der uns derzeit vor allem aus den elektronischen Medien entgegenquillt. Ich wünsche mir eine Politik der Wahrhaftigkeit, der Vor- und Fürsorge für die Staatsbürger und ein sich auf seine Substanz besinnendes Europa. AMN: Haben Sie spezielle persönliche oder beruflichen Pläne für 2005, die auch für die Allgemeinheit von Interesse sind? Prof. Wagner: Vielleicht eine Vortragsreise in China, die vor allem das Spezifische der europäischen und zentraleuropäischen Kultur von der amerikanischen abhebt. Die Mithilfe bei der neuen Etablierung des Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung und die weitere Weichenstellung in der Niederösterreichischen Kulturholding. Und das obligate Mozartbuch in meiner Reihe Musikporträts, das vor allem die Bedeutung Mozarts für hier und jetzt herausarbeiten soll. AMN: Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Glück und Erfolg in diesem Jahr und für die weitere Zukunft. |
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