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Austrian Music Network
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Dir.Mag. Johannes Stecher
Künstl. Leiter der Wiltener Sängerknaben
Knabenchöre waren schon immer ein Schwerpunkt der europäischen Musikgeschichte. Waren diese Knabenchöre vielfach die ersten Ausbildungsstätten, aus denen viele hervorragende Musiker hervorgingen? Die Wiltener Sängerknaben konnten nach dem 2. Weltkrieg an diese Tradition anschließen, und es freut uns ihnen zum 60-jährigen Jubiläum der Wiedererstehung des Chores zu gratulieren. Die Tradition der Singknaben im Stift Wilten, bzw. der "Schüler von Innsbruck", wie sie damals hießen, geht zurück bis ins dreizehnte Jahrhundert. Die heutigen Wiltener Sängerknaben wurden sofort nach dem zweiten Weltkrieg daran anknüpfend wiederbegründet und sind eine wichtige Ausbildungsstätte und Vorbereitung sowohl für Berufsmusiker, vor allem für Sänger, Dirigenten und Komponisten, als auch für Hobbymusiker, die ein enormes Potenzial für viele Chöre aber auch für ein klassisches Konzert- und Opernpublikum bilden. AMN: Herr Mag. Stecher, haben Sie am Beginn Ihrer Laufbahn grundsätzlich daran gedacht, die musikalische Jugenderziehung zum Beruf zu wählen? Diese Aufgabe erfordert viel Idealismus und Begeisterung für die Sache. Hat es vielleicht ein Schlüsselerlebnis, gegeben das Ihnen schicksalhaft diesen Weg vorgezeichnet hat?
Mag. Johannes Stecher:
Dass sich eines Tages all diese Sparten und Fähigkeiten als Hauptgebiet in der Chorleitung treffen würden, war mir zunächst nicht klar. Als Chorleiter, welcher viel mit Kindern arbeitet, ist man meiner Ansicht nach nämlich wirklich auf alle vier Fachgebiete und Musizierweisen gleichermaßen angewiesen: auf das Klavier oder die Orgel, weil Kinder gerade am Anfang diese harmonischen Stützen vor allem für das Erlernen des mehrstimmigen Singens brauchen und man später beim Einstudieren häufig ein Orchester ersetzen und imitieren muss; auf den Gesang, weil Kinder unglaubliche Fähigkeiten im Nachahmen von Stimmen haben und die Stimmbildung etwas Wesentliches ist; auf das Dirigieren, weil Kinder mehr als jeder Erwachsene an den Zeichen, Gesten und der ganzen Körpersprache des Leiters hängen; und natürlich auf die Pädagogik, denn das Schwierigste an dieser Aufgabe ist wahrscheinlich das Vermitteln, Begeistern, Infizieren, Motivieren, zu Disziplin und Konzentration bringen und das Anbieten eines passenden Beziehungsangebotes für alle - also für fünfjährige Kindergartenkinder, für dreizehnjährige Pubertierende, für siebzehnjährige Teenager und für junge Erwachsene. Dass sich also all das so logisch und fast zwingend kontinuierlich ergeben und herauskristallisieren würde, kann durchaus als schicksalhaft bezeichnet werden, wenngleich ich auf kein Schlüsselerlebnis verweisen kann. AMN: Der Beginn Ihrer Tätigkeit bei den Wiltener Sängerknaben datiert mit dem Jahre 1991, d.h. Sie haben das letzte Viertel des 60 jährigen Jubiläums geprägt. Dies ist ein Zeitraum, in dem man die Früchte seiner Arbeit bereits erkennen kann. Was waren die Höhen und Tiefen seit der Übernahme der künstlerischen Leitung durch Sie? Mag. Johannes Stecher: Zum Zeitpunkt meiner Übernahme waren die Sängerknaben leider an einem Tiefpunkt angelangt, weil Streitereien in der Führung eines Chores alles kaputt machen können. Damals blieben nur drei gute Konzertchorsänger übrig. Auf Grund intensiver Werbung kamen bald neue Kinder, welche jedoch absolute Anfänger waren. Es dauerte Jahre und war nicht leicht durchzuhalten, bis die musikalischen Ergebnisse langsam befriedigend wurden. Heute singen ca. 150 Kinder und Jugendliche in fünf Chören, davon ca. 50 Kinder und 25 Männerstimmen in den beiden Konzertchören. ![]() Höhepunkte waren für mich vor allem die mehrmalige Aufführung und der Livemitschnitt der "Schöpfung" von Joseph Haydn, die Operngala mit Bernd Weikl und der Philharmonie Temesvar, bei welcher die Sängerknaben mit großen Chören von Wagner und Verdi brillierten, zahlreiche Oratorien und Messen mit Barockorchester und klassischem Orchester, Konzerte mit Orgel sowie a capella, sowie einige interessante Opernengagements von Mozarts "Zauberflöte", über Puccinis "Turandot", Bizets "Carmen", Massenets "Werther", Wagners "Parsifal" bis zu Janaceks "Schlauem Füchslein", Bartoks "Das Kind und die Zauberwelt", Strawinskys "Persephone", Brittens "A Midsummernights Dream" und anderen. AMN: Konnten Sie den historischen Aspekt dieses traditionsreichen Knabenchores auch in der heutigen Zeit ohne größere Kompromisse weiterführen, oder mussten Sie sich mit den Gegebenheiten des Heute arrangieren? Wie ist der Aufbau? Sind die Knaben in einem Internat oder basiert alles auf einer freiwilligen Zugehörigkeit ohne andersartigen Verpflichtungen? Mag. Johannes Stecher: Bezüglich der Literatur mache ich keine Kompromisse. Gute geistliche und weltliche Chorliteratur, solistische Ausbildung und neuerdings vermehrt auch die Pflege des alpenländischen Volksliedes sind unsere Säulen auf denen wir aufbauen. Die Chormitglieder besuchen verschiedene Schulen in Innsbruck und Umgebung und kommen zwei- bis dreimal pro Woche nach Wilten für die Proben und die Stimmbildung. Jedes Chormitglied könnte theoretisch von heute auf morgen aufhören. Deswegen ist es besonders wichtig, dass man versucht Spaß am Singen zu vermitteln, den Kindern eine Ahnung von der Größe und Tiefe der Chorliteratur zu geben, die Faszination der Ausbildung der eigenen Stimme, sowie der Schulung des Gehörs aufzuzeigen und auch Verantwortungsgefühl der Gemeinschaft gegenüber aufzubauen. AMN: Man soll hier vielleicht keine Vergleiche zu anderen Jugend- Knaben- oder Kinderchören herstellen. Jede Institution hat ihre Tradition und ihre Schwerpunkte in musikalischer oder erzieherischer Hinsicht. Wie ist die Gewichtung bei den Wiltener Sängerknaben - wie stark ist die Verbindung zum Praemonstratenser Chorherrenstift? Mag. Johannes Stecher: Die Verbindung zum Stift Wilten ist eine der heutigen Zeit durchaus angemessene. Die Sängerknaben singen durchschnittlich ca. einmal pro Monat einen Gottesdienst in Wilten, wobei sich die Nachwuchschöre mehr um die Kindergottesdienste kümmern. Rektor der Sängerknaben ist Abt Raimund Schreier, der für diese Form der Jugendarbeit und Musikerziehung sehr viel übrig hat, sich persönlich sehr für den Chor einsetzt und ihn als einen Teil der Verkündigung ganz nach dem Motto "Zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen" sieht. AMN: Ihrem Lebenslauf ist zu entnehmen, dass Ihre Tätigkeit als Dirigent, Sänger, Chorleiter, Kirchenmusiker und Pädagoge sehr weit gestreut ist. Verstehen Sie diese vielen Aufgaben als ein Charakteristikum Ihres Persönlichkeitsbildes? Mag. Johannes Stecher: Durchaus! Mich fasziniert die polyphone Denkweise des Dirigenten und Organisten, ich beschäftige mich sehr intensiv vor allem mit Gesangspädagogik aber auch mit der Ausbildung und Weiterentwicklung meiner eigenen Stimme. Genau genommen gehört meine größte Liebe dem Singen. Ein Tag an welchem ich nicht singen kann, ist gewissermaßen ein verlorener Tag. AMN: Wir werden im Rahmen dieses Portraits sicher nicht alle Faktoren ihres Persönlichkeitsbildes beleuchten können. Sehr wesentlich aber glaube ich, ist der pädagogische Auftrag, den Sie mit der Leitung der Wiltener Sängerknaben seit 1991 innehaben. Wie sehen Sie aus Ihrer Sicht die Entwicklung und Förderung der Musikerziehung in Österreich - können wir zufrieden sein, oder wäre die Unterstützung staatlicher bzw. kommunaler Stellen mehr gefragt? Mag. Johannes Stecher: Ein großes Problem sehe ich im immer mehr zunehmenden Nachmittagsunterricht der Schulen. Die Fünftagewoche und die aufkommende und aus anderer Perspektive vielleicht auch sinnvolle und notwenige Ganztagsbetreuung bereitet allen Organisationen, die sich außerhalb der Pflichtschulen mit Ausbildung von Jugendlichen beschäftigen Schwierigkeiten: Musikschulen, Chören, Musikkapellen, Orchestern, Sportvereinen, Theatergruppen etc. Immer wieder gelingt es den Wiltener Sängerknaben mit Hilfe von Sponsoren und der öffentlichen Hand Konzerte für bis zu 1.500 Zuhörer zu organisieren. Die Aufführung großer Chorwerke aber auch die beliebten Muttertagskonzerte haben mittlerweile schon Tradition. Je mehr Geld zur Verfügung steht, desto mehr und desto hochwertiger können Projekte für die Kinder aber auch für viele Zuhörer realisiert werden. Ab Herbst 2006 ist übrigens endlich ein großer Schritt nach vorne gelungen: Die Tiroler Landesregierung hat es ermöglicht und gefördert, dass die Wiltener Sängerknaben mit ihren Konzertchören - dies betrifft also nicht die Nachwuchsarbeit für die Konzertchöre, sondern nur diese selbst � bezüglich ihrer Ausbildung eine eigene Fachabteilung als Vorbereitungsstudium innerhalb des Tiroler Landeskonservatoriums bilden. Darüber hinaus gibt es seit Jahren einen Verein der Freunde der Wiltener Sängerknaben und seit Juni 2006 einen eigenen Fan-Club. AMN: Jubiläen sind Zeiten für Rückblicke. Aber wesentlicher erscheint uns die Frage: Wie soll es weitergehen? Gibt es in dieser Richtung schon bestimmte Vorgaben, Ziele oder auch konkrete Pläne? Mag. Johannes Stecher: Ich werde versuchen den bisherigen erfolgreichen Weg fortzusetzen, um wenn möglich das Niveau der Sängerknaben weiter zu steigern. Wir werden in Ruhe, solide und nachhaltig weiterarbeiten. Als Jubiläumskonzert planen wir für den 29. November 2006 die Aufführung der Carmina Burana von Carl Orff, die den Kindern mit ihren strahlenden Stimmen sehr liegen wird und auf die sich alle schon sehr freuen. AMN: Unser Leben wird heutzutage vielfach computergesteuert. Kinder und Jugendliche sind davon besonders angetan - lässt sich dieser Trend bei einem Knabenchor in Grenzen halten? Oder - ist es vielleicht sogar hilfreich diese technischen Hilfsmittel auch bei der musikalischen Jugenderziehung einzusetzen? Mag. Johannes Stecher: Dieser Trend ist heute überall zu beobachten. Selbstverständlich auch bei den Sängerknaben, die - "Gott sei Dank" - ganz normale Kinder und Jugendliche mit verschiedensten anderen Interessen sind. Wenn sie beim Chor lernen, musikalische Qualität von Kitsch und Kommerz zu unterscheiden, dann könnte dies vielleicht auch in anderen Bereichen eine Orientierungshilfe sein. Beim Einstudieren größerer Werke können zum Beispiel Übungs-CDs vieles erleichtern. AMN: Herr Mag. Stecher, einen Chor mit 150 Mitgliedern kann man nicht so leicht organisieren. Haben Sie Mitarbeiter, Organisatoren, Korrepetitoren und auch Personen, die Sekretariatsarbeit leisten? Mag. Johannes Stecher: Unser Team besteht mittlerweile aus Dr. Bernhard Sandbichler für die Organisation, Herrn Vinzenz Arnold als Präfekten und Stimmbildner, Herrn Martin Pleyer für Pressearbeit und Tourneemanagement, Herrn Martin Senfter als Stimmbildner und last but not least Frau Irina Golubkova, die sich für die Nachwuchswerbung und Stimmbildung engagiert. Der Verein der Freunde greift uns immer dort unter die Arme, wo es am notwendigsten ist, momentan bei der Chorkleidung und den wunderschönen Wiltener Trachten. AMN: Als Letztes: Was würden Sie für sich und Ihrem Chor zum 60 jährigen Jubiläum wünschen? Mag. Johannes Stecher: Noch mehr Zeit für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen, weniger neidvolle Querschläge anderer Musikpädagogen und weiterhin so viele verständnisvolle, verlässliche und engagierte Eltern und Männerstimmen, ohne die der Chor nicht so ausgezeichnet funktionieren könnte. AMN: Wir danken für das Gespräch, wünschen Ihnen allen ein wunderschönes Jubiläumskonzert und alles, was Sie wünschen, möge in Erfüllung gehen.
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