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Fabio LuisiChefdirigent des Niederösterreichischen Tonkünstler OrchestersAMN: Maestro Luisi, Sie haben das Strauß-Jahr 1999 am letzten Tag des Jahres 1998 mit der traditionellen Silvester Fledermaus in der Staatsoper in Wien eingeleitet. Welche Gefühle hat man, wenn es einem gegönnt ist, ein historisches Gedenkjahr praktisch zu eröffnen?
AMN: Sehen Sie aus der Fülle des angebotenen Programmes hinsichtlich der beiden Sträuße, Vater und Sohn, einige wesentliche Aspekte, die vielleicht noch zu berücksichtigen wären? Oder hätten Sie persönlich den Wunsch, dieses oder jenes Werk zur Aufführung zu bringen? Fabio Luisi: Es werden meiner Meinung nach viel zu wenig die Strauß'schen Operetten zur Aufführung gebracht, wir bräuchten zum Beispiel eine Gesamtaufnahme aller Operetten der Strauß-Familie - verbunden mit der Herstellung von kritischen Ausgaben der Partitur oder Partizell bzw. des Orchestermaterials. AMN: Maestro Luisi, als gebürtiger Italiener mit Karrierestart in Österreich, damals in Graz, und nun als Chefdirigent in Wien, NTO, Genf, SRO, sowie als überall gern gesehener Dirigent in Oper und Konzert - Sie haben Ihre Laufbahn sicher nicht mit Strauß - Musik begonnen. Welches waren für Sie persönlich entscheidende Stationen, und welche Werke der Musikliteratur waren maßgebliche Weichenstellungen für diese großartige Karriere? Fabio Luisi: Jede Station ist entscheidend, jede Aufgabe ist wichtig, ob in der Provinz oder in der Weltmetropole, ob mit einem Studentenorchester oder mit den Wiener Philharmonikern. Mehr vielleicht als bestimmte Stationen oder bestimmte Werke ist eine positive Lebenseinstellung für diesen Beruf notwendig, die Lust am Kommunizieren, die Liebe zur Musik und die Fähigkeit, sich hinter das Werk zu stellen, im Dienste dieses oder jenes Werkes zu stehen. AMN: Sehen Sie einen Widerspruch in der hier so oft praktizierten Trennung von E- und U-Musik ? Fabio Luisi: Ich würde lieber eine Trennung zwischen guter und schlechter Musik, oder zwischen Geschmack und Geschmacklosigkeit machen. Viel gefährlicher, weil unwahr, ist die Propagierung von einigen musikalischen Events oder Musikinterpreten als "Pflege" der klassischen Musik: Boccelli oder Helmut Lotti sind gute Pop-Sänger, aber mit klassischer Musik haben sie wirklich nichts zu tun. AMN: Johann Strauß, der nach der heutigen Katalogisierung ein Vertreter der U-Musik wäre, wurde von Vertretern der E-Musik wie Brahms, Wagner, Bruckner usw. hochgeschätzt. Können Sie, Maestro Luisi, der Aussage zustimmen, daß man diese Grenzen oft zu eng gesetzt hat? Fabio Luisi: Selbstverständlich. Dass man aber heute anders denkt, zeigt zum Beispiel das Interesse für gute Film-Musik, die zunehmend von klassischen Sinfonie-Orchestern gespielt wird. Niemand sagt mehr, dass ein Nino Rota oder Ennio Morricone oder ein John Adams oder Michael Nyman schlechte Komponisten sind. Gefährlicher aber ist die Recycling-Music der Musical-Komponisten, da ist Industrie und kaum Inspiration dahinter. AMN: Welche Wünsche hätten Sie im Strauß-Jahr 1999, und welche Ziele werden Sie realisieren können? Fabio Luisi: Ich werde in diesem Jahr leider sehr wenig Johann Strauss dirigieren, dafür aber mehr Wagner und doch auch Strauss, nur Richard. Wünsche und Ziele...weiterhin gut arbeiten zu können, weiterhin meine Interpretationsvorstellungen verwirklichen zu können. AMN: Sie gastieren ja in vielen Ländern und lernen die verschiedensten Mentalitäten von Musikern und Publikum kennen, kann man aus solchen Begegnungen kurze Psychogramme für zukünftige Konzertreisen erstellen? Fabio Luisi: Nicht wirklich. Denn auf Reisen bringen die Orchester doch "ihr" Repertoire, und das akzeptieren und goutieren die Musikliebhaber in der ganzen Welt. Etwas anderes ist die Erstellung eines Programmkonzeptes, wenn man für eine ganze Saison die Programmverantwortung trägt: hier muss man verschiedene Faktoren berücksichtigen, wie Publikumsstruktur, Gewohnheiten, Anzahl der Konzerte und Aufgabenstellung des Orchesters. AMN: Wie ich weiß, sind Sie ein Computer-Fan und begeisterter Internet-Surfer, dürfen wir Sie bitten, für diese Medium eine Lanze zu brechen? Fabio Luisi: Das Internet, oder das, was aus dem jetzigen Internet resultieren wird, stelle ich mir als eine Art ständiger On-Line Kommunikation auch im kleinen Bereich vor, es wird das Leben der Menschen in den nächsten 20 Jahren revolutionieren und zum Teil vereinfachen. Die größte Gefahr dabei: die Realität zu vergessen. Menschen sind aus Fleisch und Blut - und werden es immer sein, und ein Online-Kontakt wird ein echtes Zusammentreffen nie ersetzen können. AMN: Wir verkehren des öfteren per E-Mail, und da möchte ich mir die Frage erlauben, ob durch die spezielle Art des Schreibens und durch die direkte Verbindung nicht das Gefühl eines stärkeren persönlichen Kontaktes aufkommt, als durch einen noch so schön formulierten Brief, der per Post kommt? Fabio Luisi: Nein. Ein E-Mail ist schneller, konkreter, prägnanter, stringenter, effektiver als ein Brief. Ein Brief ist aber wärmer und kann zu Herzen gehen. Ein zu Herzen gehendes E-Mail habe ich noch nicht bekommen. AMN: Wir danken für das Interview und wünschen Ihnen für alle Ihre vielseitigen Aufgaben viel Erfolg. |
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