Austrian Music Network
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2007 
200703: Internationales Guitar Festival Rust  
200701: Pleyel, Pahlen, Sibelius 
2006 
200612: Otto Zykan 
200611: Stecher 
200610: Yashiro Kondo 
200608: Can Aksel Akin 
200607: Peter S. Lehner 
200606: Haydn Trio 
200605: Franz Schaden 
200604: Elisabeth Eschwé 
200603: Leo Mazakarini 
200602: Jan Pospichal 
200601: W.A. Mozart 
2005 
bilder2005 
200512: Gustav Danzinger 
200508: Emanuel Schulz 
200507: Markus Schirmer 
200506: Gerhard Track 
200505: Johanes Wildner 
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200503: Gottfried Zawichowsky 
200502: Manfred Wagner 
2004 
200412: Ranko Markovic 
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200407: Thomas D. Schlee 
200406: Johannes Pinter 
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200404: Herwig Reiter 
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200401: KH Gruber 
2003 
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200307: Roland Batik 
200306: Duo Flieder Pantillon 
200305: Doblinger - Dr. Heindl 
200304: Paul Gulda 
200303: Georg Ragyoczy 
200302: Martha + Vahid Khadem-Missagh 
2002 
200212: Ernst Wedam 
200211: Artis Quartett 
200209: Duo :nota bene: 
200207: Natasa Veljkovic 
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1999 
199912: Peter Guth 
199911: Johann Strauss 
199910: Kurt Schmid 
199908: Bijan Khadem-Missagh 
199907: Franz Endler 
199906: Harald Serafin 
199905: Walter Kobera 
199904: Eduard Strauss 
199903: Edith Lienbacher 
199902: Fabio Luisi 
199901: Clemens Hellsberg 
1998 
199812: Alfred Eschwe 

 



Dr. Johannes Wildner
GMD Neue Philharmonie Westfalen

Mit Dr. Wildner können wir diesmal einen alten Freund in Wien begrüßen, mit dem uns viele Jahre musikalisches Wirken verbindet. Sein reiner musikalischer Humanismus und sein urwienerisches Musikantentum lässt uns schöne Konzerte erwarten. Wir freuen uns mit Dr. Wildner eine interessante und würdige Persönlichkeit des Musiklebens im Portrait vorstellen zu dürfen.

AMN: Sie kommen wieder an eine Ihrer alten Wirkungsstätten zurück, dem Tonkünstlerorchester Niederösterreich, wo Sie einige Zeit Konzertmeister waren. Welche Erinnerungen drängen sich da auf?

GMD Wildner
GMD Wildner: Im Laufe meines Weges bin ich durch drei Wiener Orchester gegangen. Vier Jahre ORF Symphonieorchester (jetzt RSO-Wien), zwei Jahre als Konzertmeister beim Tonkünstlerorchester Niederösterreich und danach war ich beim Staatsopernorchester Wien (Philharmoniker). Diese Erinnerungen sind für mich unglaublich schön, da sie für mich einen Weg durch den musikalischen Kosmos und dessen Repertoire bedeuten.

AMN: Ihre Musikerkarriere begannen Sie als Geiger, kurzfristig waren Sie Konzertmeister beim Tonkünstlerorchester, dann bei den Wiener Philharmonikern um auch von dort auszusteigen und die Dirigentenlaufbahn zu ergreifen. War es ein gewagter Schritt oder konnte man - da Sie ja auch promovierter Musikwissenschaftler sind, aus Ihrem Streben diese Karriere voraussehen?

GMD Wildner: Ich wollte immer dirigieren, da es einen Ausdruck von Gestaltungswillen und eine Auslotungen der Gestaltungsmöglichkeiten im Musikalischen bedeutet. Es ist nicht nur das Entstehen eines Kunstwerkes sondern auch die Wahrnehmung im kulturpolitischen Sinne. Die Positionierung von Musik, das Arbeiten mit der Musik und für die Menschen, diesen Wunsch habe ich seit ich denken kann. Beim Dirigieren kann ich zum Ausdruck bringen, wie sehr mir verschiedene Dinge wichtig sind.
Ich wollte nicht aus dem Orchester flüchten um zu dirigieren. Vielen Kollegen verstanden es nicht als ich den Orchesterdienst quittierte. Über 16 Jahre habe ich im Orchester gespielt und hatte nie Langeweile, Last oder Überdruss empfunden. Vielleicht, weil ich mich nie nur als Geiger sondern immer als Musiker sah. Ich habe die Musik als Ganzes empfunden und nicht nur aus dem Blickwinkel einer einzelnen Violinstimme.
Der Klang eines Orchester war für mich ein Faszinosum, dem ich mich nicht entziehen konnte, und diese leidenschaftliche Empfindung hält noch immer an. Dadurch verspüre ich auch keinen Verschleiß, dem manche Musikstudenten bereits im Studium unterliegen. Ich war gerne im "Kollektiv Orchester" und es war mir ein Vergnügen, die Last an meinem Seil zu ziehen um es dem Ganzen unterzuordnen und einzufügen.
Von den drei Orchestern in denen ich engagiert war, konnte ich sehr vieles lernen, da es sich um drei grundverschiedene Aufgabenbereiche gehandelt hat. Im RSO -Wien wurden damals - mehr als heute - sehr viele Uraufführungen produziert. Das Profil dieses Orchesters war ein ganz wichtiger Faktor für die zeitgenössische Musikszene.
Beim Tonkünstlerorchester Niederösterreich lernte ich ein ganz anderes Repertoire kennen - es hat auch heute noch das am weitest gespannte Repertoire aller Wiener Orchester. Zudem durfte ich meine Lehrjahre durch das Innehaben einer Führungsposition (Konzertmeister) vervollständigen, wo ich sowohl vom Kollektiv - das ebenfalls eine prägende Wirkung ausübt - als auch von älteren, erfahrenen Kollegen wertvolle Ergänzungen meines Wissens und Könnens mitnahm. Außerdem konnte ich im Tonkünstlerorchester mit sehr vielen verschiedenen Dirigenten zusammenarbeiten, was mir ein bereicherndes Verständnis der Kunst des Dirigierens vermittelte.
Die Jahre im Wiener Staatsopernochester, das gleichbedeutend mit den Wiener Philharmonikern ist, entwickelten bei mir die Leidenschaft zur Oper. Ich lernte hier die große Opernliteratur kennen. Sehr lehrreich waren auch die zahlreichen Schallplattenaufnahmen mit den Wiener Philharmonikern.
Während meines Tonkünstlerengagements kam ich durch Freunde in die Szene der modernen Musik und war damals Mitglied aller drei bekannten Wiener Ensembles für zeitgenössische Musik. Das waren: "die reihe" mit Friedrich Cerha, das "Ensemble Kontrapunkte" mit Peter Keuschnig, und das "Ensemble 20. Jahrhundert" mit Peter Burwick. Es waren ganz wichtige und interessante Aufgaben. Diese Ensembles hatten unterschiedliche Repertoireschwerpunkte. Keuschnig war lateinamerikanisch orientiert, Burwick hat im weitesten Sinne Webernnachfolge und Minimalmusic betont und Cerha war nahe der französischen Moderne. Diese Erinnerungen sind auch Erfahrungen, die weiterwirken und mit denen ich täglich lebe.
Der Schritt vom Orchestermusiker zum Dirigenten war ein lange geplanter und gewollter Schritt - ob er riskant war kann ich im Nachhinein nicht sagen. Der frühere deutsche Wirtschaftsminister Lambsdorf sagte einmal: "Wenn wir gewusst hätten, wie schwer es ist die DM aufzubauen, hätten wir nach dem Krieg die Währungsreform nicht riskiert." Ich glaube, dass man in unserem Beruf, wenn man etwas riskiert, nur in die Zukunft schauen darf. Sieht man zurück wird einem oft Angst und Bang welche Klippen genommen wurden und in welchen riskanten Situationen man sich befunden hat. Das Nachdenken ist sicher notwendig, um das Risiko zu minimieren und zu verantworten. Zurückschauen birgt jedoch oft die Gefahr der Selbstverliebtheit oder ein Verbauen neuer noch nicht begangener Wege in sich.
Meine musikwissenschaftliche Ausbildung hat mit dem Dirigieren nichts zu tun. Ich wollte über Musik mehr wissen, um das Ganze in möglichst komplexer Dimension erfassen zu können.

 

AMN: Im Carinthischen Sommer 2004 leiteten Sie die Kirchenoper von Sir Peter Maxwell Davies " Das Martyrium des Heiligen Magnus". Ist es Ihr Wunsch, sich neben dem gängigen klassisch, romantischen Repertoire stärker für Zeitgenössische Musik einzusetzen?

GMD Wildner: Das Martyrium des Heiligen Magnus" von Peter Maxwell Davies, das ich im Sommer 2004 Aufführen durfte, wurde vor etwa 25 Jahren geschrieben. Es geht dabei um den Übergang einer christlichen Besiedlung im Konflikt mit der Urbevölkerung. Davies hat sich mit der Geschichte der Orkney Inseln befasst und hat daraus seinen Stoff für diese Oper geschöpft.
Jeder, der sich mit Musik oder einer anderen Kunst beschäftigt, kann nicht existieren, wenn er nicht weiß oder informiert ist, was gerade im Moment geschrieben wird. So ist es eine Notwendigkeit in die Herzen der kreativen und schöpferischen Menschen zu schauen. Sehr schwer ist es jedoch über Kunst zu urteilen, da wir aus der Geschichte der Kunst wissen, dass handwerkliche Kriterien die sich in einem Regelwerk manifestiert haben, sehr oft durch geniale Künstler mutierend weiterentwickelten. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Es gibt äußere Umstände im positiven wie im negativen - es lässt sich nie voraussehen, welche Werke überleben werden oder auch nur für einige Jahre in Vergessenheit geraten. Ich glaube, für uns ausübende Musiker ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Ob es uns gefällt ist eine Entscheidung, ob etwas handwerklich nicht gut ist, ist eine andere Entscheidung. Letztlich ist es ein historischer Prozess, und der ist vielschichtig und nicht immer eindeutig vorhersehbar.
Ein Beispiel, die Symphonie von Hans Roth. Hans Roth (1858-1884) war ein Schüler von Anton Bruckner und Studienkollege von Gustav Mahler. Er schrieb seine 1. Symphonie, verfiel dem Wahnsinn und ist mit 26 Jahren gestorben. Erst 100 Jahre später wurde diese Symphonie wiederentdeckt. Das Werk ist vergessen worden - durch Zufall wurde es von anderen Ereignissen überwuchert oder verdrängt. So wie die Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach erst durch Felix Mendelssohn-Bartholdy wiederentdeckt und zur Aufführung gebracht wurde. Die Umstände brachten es mit sich, dass auch die berühmte Matthäus Passion 100 Jahre nicht existent war.
Für mich ist die Beschäftigung mit moderner Musik ungeheuer wichtig. Ich mache es gerne und habe es oft zur eigenen Freude und ganz selten um einer Verpflichtung nachzukommen getan. Wenn ich ein Werk einstudieren musste, das mir Verpflichtung war, dann versuche ich die Freude und die Identifikation mit dem Werk zu finden. Die Beschäftigung mit der Gedankenwelt eines anderen Menschen - Künstler - ist nicht nur interessant, sondern wenn man sie erschließen kann auch sehr befriedigend.

AMN: Herr GMD Wildner, im Mai starten Sie eine Programmserie, die Sie ohne Vorgaben selbst gestalten können. Ist das der Idealzustand, mit dem man an eine Konzertreihe herangeht oder sind manchmal die Vorgaben vom Veranstalter leichter zu realisieren?

GMD Wildner: Im Mai bin ich beim Tonkünstlerorchester Niederösterreich eingeladen, ein Programm mit zusätzlich fünf Aufführungen zu dirigieren. Ich habe die Möglichkeit erhalten selbst Programmideen einzubringen. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass eine Abonnementserie - egal ob Theater oder Konzert - immer aus einer Hand kommen sollte. Der Intendant oder der Musikchef soll ganz bewusst seine Punzierung aufdrücken, da es ja nicht darum geht, ein Programm zu erstellen unter: "Sie wünschen, wir spielen!" Es geht auch nicht darum, den größten populistischen Effekt zu erreichen. Ein verantwortungsbewusstes Team oder Musikchef wird sein Publikum kennen und dafür eine Mischung machen. So kann man die Menschen mit Werken befriedigen, die einen Kanon eines Bildungsideals darstellen und zusätzlich mit maßvollen Leitlinien in Gebiete führen die ihnen noch nicht bekannt sind. Es ist wichtig, dass man seinem Publikum auch neue Räume eröffnet. Diese Mischung muss jedoch aus einem Guss sein - ich bin eher dagegen, dass jeder sagt, ich möchte gerne, das oder jenes spielen. Es liegt in der dramaturgischen Situation eines Orchester, die sich über Jahre oder Jahrzehnte ausgebildet hat und die nicht gestört werden sollte.
Am 8. Mai ist die Situation etwas anderes. Dieses Sonntagnachmittagskonzert fällt gerade auf den Tag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht - das Ende des 2. Weltkrieges.
2005 haben wir viele Jubiläen. Eine Woche später gibt es 50 Jahre Staatsvertrag. Ich wollte an diesem 8. Mai auch der tiefen Schnitte gedenken, die vor 60 Jahren in Europa passiert sind. Dieses Konzert soll mit drei Werken einen Überblick über die seelische Befindlichkeit zu diesem Tag geben. Es beginnt mit dem Adagio aus Gustav Mahlers 10. Symphonie, anschließend das Violinkonzert von Karl Amadeus Hartmann, und nach der Pause folgt die 6. Symphonie von Ludwig van Beethoven.
Den Überbau, den ich zu diesem Anlass meinem Empfinden zugrunde lege, will ich auch dem Publikum weitergeben. Mahler hat in diesen unglaublichen Satz schon die prophetische Sicht der kommenden Katastrophe vorhergesehen und das Aufgelöstwerden ins Jenseits vorweggenommen. Kurz vor dem Schluss weise ich auf den vielzitierten Akkord mit den 4 Trompeten hin. Dieser dokumentiert dieses Oszillieren, das Menschen mit Jenseitserfahrung immer wieder schildern. Ich sehe hier eine musikalische Umsetzung aus einem Diesseits in ein Jenseits und begebe mich damit in eine andere Welt. Es beginnt mit der Gegenüberstellung des ersten zum zweiten Bratschensolo, das aus einer Depression beginnt, die sich auflöst in einer transfigurierten Herrlichkeit. - Es ist die Vorausahnung des Auflösens.
Beeidruckend ist Karl Amadeus Hartmanns Violinkonzert, das sogenannte Concerto funebre. Hartmann hat es vor Beginn des 2. Weltkrieges geschrieben - eigentlich die Totenklage des Endes vorwegnehmend. Hartmann war während des 2. Weltkrieges in der inneren Emigration. Man kann sich nicht vorstellen, unter welchem Druck diese Menschen gestanden sind, da sie nicht wissen konnten, wann die Unterdrückung, die Depression, die Unfreiheit und wann das Morden aufhört. Es ist heute mit dem Irakkrieg nicht anders. Wir wissen auch nicht, wann Frieden ist.
Diese prophetische Sicht des Auflösens hat Mahler am Vorabend des 1. Weltkrieges mit seiner 10. Symphonie uns wissen lassen und Karl Amadeus Hartmann mit seinem Concerto funebre am Vorabend des 2. Weltkrieges mit seiner Totenklage über einen Berg von 45 Millionen Toten.
Nach der Pause kommt das Zurückgehen in die Welt von Beethoven, wo wir aus seiner Genialität vor 200 Jahren das Bild des "Neuen Menschen" geschenkt bekommen haben. Beethoven hat 1000 Jahre Feudalherrschaft in Europa beiseitegeschoben und gesagt: "In der Kunst müssen wir einen neuen Menschentypus erschaffen, der selbstbestimmt ist, eine eigene Moralität und eine eigene Verantwortung besitzt, und der frei und brüderlich den Menschen verbunden ist." Darum habe ich die 6. Symphonie gewählt. Die Pastorale war in der Barockkomposition ein berühmter Topos. Und wir wissen, dass bereits 150 Jahre vor Beethoven eine Pastoralsymphonie von Justin Heinrich Knecht geschaffen wurde, die eine ähnliche Verbindung von ländlichem Sein und Kunst gezeigt hat. Diese Reibung zwischen Künstlichkeit, Kunstfertigkeit und Natürlichkeit ist in der Abendländischen Kunst schon immer ein Spannungsfeld gewesen.
Das wurde in der jüdischen Ästhetik sehr spät gelöst - erst durch Gustav Mahler. In der jüdischen Kunst musste Kunst immer künstlich sein und durfte nicht mit natürlichen Dingen konfrontiert werden. Dieses Zurückgehen in den Ursprung müssen wir wieder finden, um den Irrweg, den man in unseren Sozietäten gegangen ist, in Zukunft zu vermeiden. So möchte ich dieses Programm dokumentiert wissen.

AMN: Ihre Beziehung zu Wien scheint ungebrochen, Sie stehen immer wieder am Pult von Wiener Orchestern. Sind das noch die Beziehungen aus alter philharmonischer Zeit oder lässt Sie das Heimatgefühl nicht los?

GMD Wildner: Meine Beziehung zu Wien ist ungebrochen - ich bin zwar im steirischen Mürzzuschlag geboren und vielleicht gerade deswegen ein leidenschaftlicher Wiener. Brahms war in Mürzzuschlag auf Sommerfrische, und da gibt es sehr schöne Erinnerungen - er schrieb dort seine 4. Symphonie. Es wäre sicher schön, wenn ich öfter am Pult von Wiener Orchestern stehen könnte, weil es eine unglaubliche Freude ist, mit dem musikalischen Ideal zu musizieren, aus dem man hervorgekommen ist. Als GMD der Neuen Philharmonie Westfalen versuche ich bei meiner Arbeit mit dem Orchester das, was ich hier in Wien gelernt habe, wiederzufinden und umzusetzen. Man nimmt das Klangideal, das in Wien gepflegt wird, in seiner Seele und im Kopf mit und ist bestrebt die wienerische Art zu musizieren auch dort hervorzubringen. Das Besonderes merkt man erst wenn man weit vom Ursprung dieses Musizierstiles entfernt ist. Was in Wien als selbstverständlich angeboten wird, muss man dort einfordern. -
Woran liegt es, dass z.B. ein Spiccato in Wien anders klingt als irgendwo sonst? Wenn man die verschieden Schulen betrachtet, ist man gezwungen Formulierungen und Anregungen zu geben um ein einheitlich klanglich befriedigendes Resultat zu erreichen. Ich fühle mich in meiner Wiener Tradition und in meiner Klangvorstellung geborgen und gehe manchen Orchestern wahrscheinlich sehr auf die Nerven, wenn ich diese Vorstellungen realisieren will. Bin aber sehr glücklich wenn ich das Ziel erreiche und es auch erkannt wird. Der Ausspruch " Jetzt klingt es!" ist für mich höchstes Lob. Der Klang ist die Qualität eines Orchesters. Laut und leise, schnell und langsam kann jedes Orchester spielen. Aber aus der Summe der Einzelleistungen ein homogenes Klangerlebnis zu gestalten ist die unverzichtbare Arbeitsaufgabe eines Musikchefs.
Wenn ich nach Hause komme und am Pult eines Wiener Orchesters stehe ist das Heimatgefühl sofort wieder da. Es ist immer ein Erlebnis, an den Platz, wo man musikalisch geboren wurde, zurückkehren zu dürfen. Hier wird man wieder mit neuen Lerninhalten konfrontiert, deren Impulse als Wegzehrung für weitere Aufgaben dienen können.

AMN: International sind Sie außer Europa vorwiegend in Asien, besonders in Japan tätig. Welche Eindrücke konnten Sie im kulturellen Bereich gewinnen, ist das Interesse und die Förderung durch öffentliche Institutionen oder Sponsoren gegeben? Ist die Situation ähnlich wie in Deutschland oder Österreich?

GMD Wildner: Im Laufe der letzten Jahre haben sich bei meiner Tätigkeit außerhalb von Deutschland und Österreich eine Reihe von Gastspielen ergeben. Ich war in China, sehr viel in Japan, in Italien, in Verona und Bozen, Zagreb ist ebenfalls eine von mir bespielte Konzertstätte. Es gibt Gastspiele und Orte, die man seltener besucht, und andere die eine regelmäßige Frequenz aufweisen. Die Verschiedenheiten der Orchester, die trotz meiner Vorstellung eines Klangideales vorhanden sind, sind eine wichtige Charakteristik und diese Unterschiedlichkeit ist wert erhalten zu werden.
Es ist wie beim europäische Integrationsprozess - es darf nicht zur Folge haben, einen kulturellen Einheitsbrei zu erzeugen. Es kann nicht sein, dass wir von Portugal bis Litauen dieselbe Sicht der Dinge haben, sondern der Einigungsprozess soll uns die einmalige Chance nützen lassen, dass wir uns ganz nahe kommen. Denn je näher wir uns sind, desto mehr können wir an der Verschiedenheit des Anderen Freude haben. Das Verschiedensein, das Ungleichsein, das Nicht - ident - sein ist das Schöne, das Menschliche, das was wir genießen müssen.
Bei der Frage der Tätigkeit in anderen Ländern ist die Struktur der Institutionen angeklungen. Hier hat Europa - namentlich Deutschland - eine Orchesterszene, die sehr dicht ist, die aber im Moment leider etwas in Frage gestellt wird. Ich glaube zwar, dass das in Fragegestelltsein, sich nicht auf die Geldmenge bezieht, sondern in erster Linie die politische Vertretbarkeit der Ausgabe betrifft. Wenn man heute ein Orchester schließt, dann spart man Geld ein, die vielleicht ein paar hundert Meter Autobahn bedeuten.
Es kann nicht sein, dass wir an solchen Beträgen die Grundfesten unserer europäischen, abendländischen Zivilisation, die diese Musikkultur hervorgebracht, hat in Frage stellen. Was wir in unserem Bildungssystem versäumt haben ist, die breite Basis mit diesem kulturellen Angebot zu versorgen. Es ist bedauerlich, dass der Kulturkonsum heute nicht mehr von der älteren auf die jüngere Generation und nicht mehr in der Familie hergestellt wird. Es wurde alles an die Schule delegiert, und die kann durch Überforderung dem nicht gerecht werden. Wir müssen die Bedeutung des zivilisatorischen Angebotes in den Herzen der Menschen verankern, dann werden sie sich auch dafür entscheiden, es haben zu wollen.
"Wenn die Menschen nicht wissen was sie verlieren, dann werden sie auch den Verlust nicht verspüren" schreibt Herzmanowsky-Orlando. Und die Menschheit ist nur deswegen über viele Verluste hinweggekommen, weil ihr der Verlust nicht bewusst war. Wir haben in kulturpolitischer Hinsicht einen krassen Mangel an Informationen und daher auch viele Fehlentscheidungen. In Ländern, die momentan wirtschaftlich boomen ist der Unterschied noch stärker zu vermerken. Es wird nur eine ganz geringe Schicht angesprochen. Hier müssen wir beim Aufbau einer klassischen Kultur von vornherein Schranken vermeiden und alle in den kulturellen Aufbau einbinden.

AMN: Als GMD der Neuen Philharmonie Westfalen haben Sie bestimmt Einblicke in die Deutsche Kulturlandschaft - wie man hört oder aus Zeitungsberichten liest, kracht es da an manchen Ecken und Enden. Wie z.B. die Auflösung des Kleinen Münchner Rundfunkorchesters. Ist die Situation aus wirtschaftlichen Gründen prekär oder spielen politische Motive ein bedeutende Rolle?

GMD Wildner: In Deutschland, wo ich gerade meine GMD Position ausübe, ist es nicht leicht immer wieder den Druck zu verspüren, dass Einsparungen gemacht werden müssen. Ich glaube, Einsparungen bei Kultur sind Verschwendungen in furchtbarsten Ausmaß. Man kann für Einsparungen bei Kultur sinngemäß nur ein Zitat von Henry Ford herausgreifen der sagte: "Wer bei der Werbung einspart, ist wie wenn man den Zeiger der Uhr aufhält und glaubt man spart damit Zeit!" Die Einsparung von Kultur bedeutet die Demontage der Zukunftsfähigkeit eines Landes, eines Volkes und bedeutet Raubbau an menschlichen, humanen Dasein. Die Kultur braucht gar nichts, die Kultur ist da - wir brauchen die Kultur - und da stellt sich die Frage: "Wie wenig Kultur können wir uns leisten ohne in zivilisatorische, schwarze Löcher abzustürzen!"
Alle Nachrichten, die wir derzeit aus aller Welt hören, entspringen solchen schwarzen Kulturlöchern. Der Krieg und Terrorismus der an uns herangebracht wird, ist Unkultur und da ist kein Land ausgenommen. Wir haben ein gewaltiges Manko an zivilisatorischen Idealen, und das gerade in dem Jahr, wo wir Schillers 200. Todestag gedenken. Der so wie Beethoven in der Musik, an der Schaffung des "Neuen Menschen" und des menschlichen Ideals teilhatte und es mit "Alle Menschen werden Brüder" in Worte formulierte.
In Deutschland besteht die Gefahr, dass in den nächsten Jahren 30% der Orchester aufgelöst werden. Jede Auflösung eines Orchesters ist eine Katastrophe, weil es einen Teil des Gesamtspektrums zunichte macht. Wenn ich alle Orchester eines Landes anschaue, dann hat jedes Orchester eine bestimmte Funktion. Entweder es versorgt eine bestimmte Region oder es ist für ein bestimmtes Repertoire zuständig. Gehen dieses Orchester durch Auflösung verloren, dann vernachlässigt man genau diesen Kulturbereich, und ein Teil dieser Kultur und auch deren Konsumenten geht für immer verloren. Natürlich gibt es Änderungen im Konsumverhalten der Menschen. Es gibt heute keine Provinz mehr. Durch die Vernetzung kann ich mich heute überall einklinken und aus aller Welt kulturelle Highlights miterleben. Die Erfahrungen der letzten 30 Jahre haben aber bewiesen, dass nichts das sogenannte Liveerlebnis ersetzen kann. Das Liveerlebnis ist das Erfassen und Erleben von Musik, Theater oder was immer Menschen für Menschen in unmittelbarer Aktivität vermitteln, das mit allen Sinnen aufgenommen wird und unwiederbringliche Gefühlsmomente aktiviert, die oft lebenslang nachwirkende Prägungen hervorrufen können.
Diese Hörerlebnisse sollten wir in unserer Jugendarbeit viel stärker berücksichtigen. Diese Arbeit müssen wir Musiker auch an die politisch Verantwortlichen herantragen, damit unsere Musikkultur nicht aus rein monetären Erwägungen beschnitten wird. Die seelische Gesundheit einer Generation ist ein so wertvoller Lebensinhalt, der aus richtig gestellten kulturpolitischen Entscheidungen Aufschwung in jeder Richtung bedeutet.

AMN: Herr Dr. Wildner, wie sieht die Planung Ihrer nächsten Konzerte und Konzertreisen aus?

GMD Wildner: Nach der Sonntagnachmittagskonzertserie des Tonkünstlerorchesters Niederösterreich werde ich wieder zurück in mein Stammhaus der Neuen Philharmonie Westfalen fahren. In Gelsenkirchen habe ich die Premiere von Tosca in einer sehr aufregenden Inszenierung von Gabriele Rech. Ende Juni ist eine symphonische Programmserie mit Werken von Skrjabin, Prokofjew und Richard Strauss, dann kommen zwei Konzerte mit dem Symphonieorchester von Luxemburg. Zwei Open Air Konzerte sind im Juli geplant - solche Konzerte wollen wir in allen Städten des Ruhrgebietes einführen. Themenschwerpunkte sind im heurigen Schillerjahr Aufführungen, die auf Dramen von Schiller zurückzuführen sind, wie : Luise Miller, Kabale und Liebe, Don Carlos und Turandot. 2001 haben wir die Aida zur Eröffnung der Fußballarena von Schalke 04 gespielt - bei dieser Eröffnung waren 53000 Menschen als Publikum in einem Konzert. 2003 hatten wir Carmen in derselben Konstellation am Programm und die kommende Saison bringt ebenfalls ein sehr dichtes Programm, worauf ich mich schon sehr freue.

AMN: Vielleicht können Sie uns ein paar Erfahrungen über die elektronischen Medien, wie Internet und e-Mail sagen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, außer im Kommunikationsbereich, diese auch für die Musik dienstbar zu machen?

GMD Wildner: Wir leben in einer Welt, die sich immer dichter vernetzt und trotzdem muss man darauf hinweisen, dass die 6 Milliarden Menschen jeder für sich ein unnachahmliches Individuum ist. Die rasante Zunahme des Wissens zeigt uns, dass diese Welt voller Herausforderungen ist, die wir in den Griff bekommen müssen. Es besteht aber die Gefahr, wie ich glaube in dem Zuviel des Angebotes und der Möglichkeiten. Wir müssen lernen zu selektieren, zu separieren und zu ordnen, damit wir nicht in der Flut des zuviel Wissens untergehen. Ich glaube, wir und auch unsere Kinder müssen lernen, mit diesen Werkzeugen zu arbeiten und nicht dessen Sklaven zu werden.
Die Möglichkeiten, der modernen Technologie sind faszinierend. Ich finde besonders die Lernprogramme als wichtigste Aspekte, damit kann man viele Informationen an die Menschen herantragen. Allerdings ist darauf zu achten, dass ein gewisser Grundstock an Basisinformationen vorhanden ist, sonst nützt keinerlei Hightech, wenn ich nicht weiß worüber ich mich informieren soll.

AMN: Haben Sie besondere Wünsche und Anliegen, die wir international an dieser Stelle ins Netz stellen könnten?

GMD Wildner: Meine Wünsche sind in den letzten Jahren immer mehr in eine Richtung gegangen. Es ist die Arbeit mit dem musikalischen Material, das wir verwalten dürfen und welche Bedeutung es für die nächsten Generationen hat. Für mich ist der zentrale Punkt unseres Seins - wie können wir an junge Menschen herankommen, damit sie in ihrer Entwicklungsphase eine wirksame Prägung erhalten. Für mich ist es sehr wichtig, viel mit Kindern zu arbeiten. Wir haben im Ruhrgebiet vor 5-6 Jahren mit einer Jugendserie begonnen. Jetzt haben wir zehnmal so viele Konzerte. Wir gehen in die Schulen und machen Schulkonzerte um an die Jugend heranzukommen. Wir dürfen uns trotzdem nichts vorlügen - das was wir machen sind Tropfen auf heiße Steine. Wirklich europaweit wirksam kann es aber nur werden, wenn es flächendeckend in allen Ländern gemacht wird. Wir müssen eine breite Angebotspalette an die jungen Menschen heranführen. Darauf möchte ich nicht nur hinweisen - das möchte ich auch selber leben und selber jeden Tag tun. Das, was wir an gesunder Kultur und Natur haben, sollten wir an unsere Kinder weitergeben, mit der Hoffnung, dass diese es dereinst ebenso machen.

AMN: Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen für die laufende Konzertserie und weiterhin viel Erfolg.



 


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