Ausgabe 200608
Can Aksel Akin
Komponist
AMN: Das Festival "Allegro Vivo" hat im heurigen Jahr traditionsgemäß wieder eine Gastkultur in sein Programm genommen. Im Mozartjahr war es naheliegend, sich von Mozarts "Alla Turca" inspirieren zu lassen - hat ja die westliche klassische Musik gerade im 16. 17. und 18. Jahrhundert vielfache Anleihen an der facettenreichen türkischen Musik genommen.
Ebenfalls ein Gedenkjahr wird dem berühmten Sufi-Meister Mevlana gewidmet sein. Die Gottsuche ist ein Thema aller Religionen. Vielleicht hilft so ein Gedenkjahr dem fundamentalistischen Denken und Handeln weiter Kreise abzuschwören und sich demutsvoller dem Leben, den Lebenden und toleranter gegenüber anders Denkenden zu verhalten. Die Beschäftigung damit hat Can Aksel Akin zum Thema seiner Auftragskomposition gemacht, und wir wollen gespannt dem entgegensehen.
AMN: Herr Akin, Sie sind Preisträger verschiedener Kompositionspreise. Begannen Sie Ihr Musikstudium in der Türkei? Welche Stationen waren auf diesem Weg, nötig um sich als Komponist zu etablieren?
Can Aksel Akin:
Bevor man sich als Komponist etablieren kann, ist ein langer Weg. Man
muss viele zusätzliche Studien absolvieren, um in diesem Beruf
überhaupt Fuß fassen zu können.
Ich habe in der Türkei begonnen Komposition zu studieren, aber Komponieren ist ein lebenslanger Prozess. Da meine Eltern auch Musiker sind, hatte ich das Glück mich mit Musik sehr früh zu identifizieren. Seit meinem 5. Lebensjahr spiele ich Klavier und habe schon in diesen jungen Jahren angefangen, am Klavier zu improvisieren. Mit 13 / 14 Jahren entschloss ich mich Komponist zu werden. Ich schaffte die Aufnahmeprüfung am Konservatorium in Istanbul, wo ich zuerst Musiktheorie und später Komposition studierte. An der Wiener Musik Universität fand ich dann die Möglichkeit mit künstlerisch und menschlich sehr guten Professoren wie Prof. Ganter, Prof. Schwertsik und Prof. Urbanner, zu arbeiten. Sie haben mir wirklich sehr geholfen meine musikalische Ideen umzusetzen und zu realisieren.
AMN: Wo finden wir die historischen Wurzeln der türkischen Musik - ist diese mehr weltlich ausgerichtet oder kommt diese aus religiösen Strömungen wie den Sufismus oder anderen?
Can Aksel Akin: Ich finde meine Wurzeln auch in der türkischen Musik, obwohl ich mich mit der historischen türkischen Musik weniger identifizieren kann. Mein Weg ist die moderne Türkische Musik, die im 19. 20. Jahrhundert begründet wurde. Nach den Reformen von Atatürk, der die Türkische Republik gründete, hat man diese Reformen auch auf die Musik ausgedehnt. Es wurden die ersten Orchester und das Konservatorium gegründet, und viele europäische Musiker kamen in die Türkei. In dieser Folge bin ich die vierte Generation, die aus dieser Reformbewegung entstanden ist. Ich gehöre der jüngsten Gruppe türkischer Komponisten an.
Die erste Generation hat man in Europa studieren lassen, sodass die nächsten Generationen z.B. die meines Vaters bereits eine größere Breitenwirkung in der Türkei erreichen konnten. Ich kann mich in meiner Musik nicht unbedingt als religiös definieren, aber so wie hier die Kirchenglocken läuten, hört man bei uns fünf mal am Tag den Ruf des Muezzins und man hat diese typischen Tonfolgen immer im Ohr. Ich habe 22 Jahre in Istanbul gelebt, und es ist selbstverständlich, dass man die Makame irgendwann im Blut hat.
AMN: Zwischenfrage: Was ist Makame?
Can Aksel Akin: Makame ist der Plural. Ein Makam ist nicht nur ein Tonsystem, es symbolisiert und verkörpert die musikalische Ästhetik von Zentralasien bis Ost-Afrika, die Arabischen Halbinseln bis Kleinasien und vom Balkan bis Europa. Wer einen Blick in die Musik dieser Kulturen machen will sieht, dass wir im Makam eines der wichtigsten Elemente dieser Musik finden. In den Makamen werden die künstlerische Freiheit und die Persönlichkeit des Künstlers auf zwei Ebenen beschränkt. - Makam und Usul (Rhythmus)-. Diese Musik hat feinere Intervalle und komplexere Rhythmen. Wenn es einem Künstler gelingt diese Beschränkung zu akzeptieren, dann erfindet er vielleicht ein neues Makam.
AMN: Wenn man die Turkvölker als Gesamtheit betrachtet, dann muss man weit in den asiatischen Raum hineingehen. Lässt sich trotzdem eine Verbindungskette dieser unterschiedlichen Kulturauffassungen zur westlichen Kultur herstellen?
Can Aksel Akin: Es lässt sich sehr gut zusammenfassen, wobei die Türkei sich durch die Reformen musikalisch sehr weit westlich etabliert hat. Wie die europäischen Minnesänger gab es auch bei uns Wandersänger, die Asiks, die zur Saz (Langhalslaute) ihre Gesänge und Nachrichten von Dorf zu Dorf weitergaben. Dies war etwa zeitgleich mit dem europäischen Minnesang. In Anatolien ist die Ashik-Tradition noch immer verbreitet. Auch der Schamanismus ist für die Türken keine fremde Religion. In dieser Religion hat der Schamane (Dorfheiler, Magier) Heilungen mit und durch den Gesang an Kranken vorgenommen.
AMN: Sie haben ein Werk "Der Suchende" geschrieben. Welcher Grundgedanke liegt diesem Werk zugrunde?
Can Aksel Akin: "Arar" - "Der Suchende" - klingt auf deutsch eindimensional, auf türkisch hat "Arar" jedoch mehrere Bedeutungen. Es kann sowohl Frage als auch Bestätigung einer Form sein. Deswegen hat mich dieser Titel angezogen, da er in seiner Aussage immer offen ist. Dieser Titel passt sehr gut zu Mevlana und dessen Sufischer Lehre. Mevlana sagt: "Komm wer du auch bist". Diese Aussage stammt aus dem 13. Jhdt.
Mevlana Rumi war einer der bedeutendsten und bekanntesten islamischen Mystiker. Er wurde 1207 in Balkh an der Grenze zu Afghanistan geboren und ließ sich 1228 in Konya der Hauptstadt der Seldschuken nieder. Er ist der Begründer des Mevleviye-Ordens. Sein Lehrwerk - in persischer Sprache - verfasste Mesnevi (mathnawi) und besteht aus ca. 26.000 Doppelversen, lose verknüpften Geschichten, Parabeln und Gedanken.
Mevlana hat sich nie als Scheich oder Pir ausgegeben. Er war ein Mann der Reformen. Er war ein Beispiel für Liebe (Aschk), Einheit und Menschlichkeit. Diejenigen, die den Weg Mevlanas mit Musik und Sema gewählt hatten, liebten ihn und fanden sich selbst in Mevlana.
Das Ritual des "Sema" fand seinen Ursprung in einer Inspiration von Mevlana, erhielt aber seine jetzige Form erst nach dessen Tod 1273. Eine wichtige Eigenart dieses alten Rituals ist das Zusammenführen der drei fundamentalen Komponenten der menschlichen Natur: "Dem Verstand" (durch Wissen und Gedanken), "Dem Herzen" (durch den Gefühlsausdruck, Poesie und Musik) und "Dem Körper" (durch Anspornen des Lebens und Drehen) Diese drei Elemente werden zusammengeschweißt - sowohl theoretisch wie praktisch - wie es wohl in keinem anderen Ritual oder Gedankensystem praktiziert wird.
Es ist nicht Ziel des "Semanzen" in Ekstase zu verfallen. Er dreht vielmehr in Harmonie mit der Natur, den kleinsten Zellen und konform mit dem Himmelsgewölbe. In diesem Tun bestätigt der Semanze das Wort des Korans: "Was im Himmel und auf Erden ist, preist den Einen Gott" (64:1)
Mevlana hat noch immer auf der ganzen Welt viele Anhänger. In den USA ist er vielleicht sogar berühmter als in Europa.
Mein Werk "Der Suchende" wurde in diesem Sinne im Gedenken und in dieser Grundhaltung auf Mevlana geschrieben. Es ist ein Dialog zwischen der Violine (dem westlichen Instrument) und Nây (dem orientalischen Instrument) und soll das Zusammenkommen von Ost und West versinnbildlichen. Nây ist das Instrument der tanzenden Derwische und wird mit Schlagzeug zusammen in der mevlitischen Tradition eingesetzt.
AMN: Als Komponist ist man immer darauf angewiesen, Ensembles, Solisten oder Orchester zu finden, die sich bereit erklären, ihre Werke aufzuführen. Welche Möglichkeiten und Chancen sind hier gegeben, um an das Ziel - zu einer Aufführung - zu kommen?
Can Aksel Akin: Bisher hatte ich das Glück mich durch Wettbewerbe als Komponist zu etablieren. Ich komponiere daher in erster Linie, wenn sich auch eine Aufführungsmöglichkeit ergibt. D.h. Auftragskomponisten oder Freunde, die sich ein Stück von mir wünschen, dem komme ich gerne nach. Da ich viele Freunde und auch Aufträge habe, würde es mir schwergefallen noch Zeit für zusätzliche Kompositionen zu finden. Und nur für die Schreibtischlade zu komponieren, soll auch nicht der Sinn und Zweck eines Komponisten sein.
AMN: In Österreich sind türkische Komponisten nicht sehr bekannt. Bei der Gründung des Staatskonservatoriums von Ankara waren jedoch 1936 deutsche Komponisten und der berühmte Musiktheoretiker Paul Hindemith aktiv involviert. Sind dadurch auch in der zeitgenössischen türkischen Musik Parallelen zur westeuropäischen Moderne feststellbar?
Can Aksel Akin: Es stimmt, dass Hindemith kurze Zeit, ich glaube ein oder zwei Jahre in der Türkei unterrichtet hat. In dieser Zeit fand die moderne westliche Musik auch Eingang in der Türkei. Leider sind die türkischen Komponisten in Europa nicht so bekannt. Das mag daran liegen - um mit einem Wort aus der Wirtschaft zu sprechen - die westeuropäische Musik mit seiner jahrhundertealten Tradition sieht sich eben als Marktführer. Und da hier wirklich eine Fülle an Werken und Komponisten vorhanden ist, macht man sich nicht die Mühe in Nachbarkulturen zu schauen.
Andererseits schaut man in der Türkei auch nach Westeuropa und in die USA, sodass sich keine einheitliche typische moderne türkische Musik entwickeln konnte.
AMN: Bevorzugen Sie bei Ihren Instrumentierungen auch historische Instrumente oder verwenden Sie in erster Linie moderne Orchesterinstrumente und deren Klangeffekte?
Can Aksel Akin: Ich bevorzuge in erster Linie moderne Instrumente. Bei den historischen Instrumenten hat man immer das Problem mit der klanglichen Balance. Diese Instrumente sind meistens sehr leise oder sehr laut, dadurch ist es sehr schwer hier eine vertretbare Mischung zu finden. Das zweite Problem liegt dann an den Spielern historischer Instrumente, da diese sehr oft nicht einmal Noten lesen können. Man lernt vielfach nur nach Überlieferungen, wobei die künstlerischen Freiheiten oft so ausufernd sind, dass ein Zusammenspiel mit professionell geschulten Musikern nicht mehr gegeben ist.
AMN: Werden öfter Auftragskompositionen verlangt - oder komponieren Sie vorwiegend nach intuitiven Eingebungen? Sind Inspiration, Vision oder auch rein geistige Auseinandersetzung mit Themen, die Sie oder die Menschen berühren die Quelle des schöpferischen Geistes?
Can Aksel Akin: Wie schon gesagt, mache ich in erster Linie Auftragskompositionen. Meistens gibt es Themenvorgaben, für die ich mich entscheiden kann, oder es wird gemeinsam ein Grundkonzept entworfen, in das jeder seine Vorstellungen einbringt. Wie es realisiert wird liegt dann am Komponisten und an den instrumentalen Möglichkeiten des Ensembles. Wichtig ist auch, für welchen Raum und zu welchem Anlass das Werk benötigt wird. Selbstverständlich versuche ich bei jeder Komposition meine musikalischen Visionen einzubringen.
AMN: Sie leben in Österreich und haben auch hier einige Zeit studiert. Wie ist der Unterschied in den Ausbildungsmöglichkeiten - ist der Weg, eine musikalische Ausbildung zu absolvieren in Österreich leichter oder schwerer als in Ihrer Heimat?
Can Aksel Akin: Ich habe es sehr genossen in Österreich zu studieren. Hier findet man alle Quellen in den Bibliotheken. Die Professoren und die vielen Konzerte, die man hier hören kann, sind eine unglaubliche Bereicherung, die von Österreichern möglicherweise gar nicht so geschätzt werden. Ich bin deswegen nach Wien gekommen, um hier an den Quellen zu studieren und ich schätze es sehr. Die türkischen Institutionen, Konservatorien und Universitäten für Musik sind sehr jung und haben auch finanzielle Probleme. Dadurch lassen sich auch keine Vergleiche zwischen den Ausbildungsmöglichkeiten ziehen.
AMN: Habe Sie einen besonderen Wunsch für die Zukunft in weitestem Sinne für Sie und auch für das Musikschaffen in der Welt?
Can Aksel Akin: Mein Wunsch wäre im Sinne von Mevlana "Frieden und Gesundheit für alle Menschen", damit sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können, damit sie ihre geistige und seelische Entwicklung und Erfüllung verwirklichen können. Das wünsche ich auch auf musikalischem Gebiet allen meinen Kollegen.
AMN: Wir danken herzlichst für das Gespräch und wünschen Ihnen eine erfolgreiche Uraufführung beim Festival "Allegro Vivo"!